Sanktionen

I. Was war der Anlass für eine Neufassung der Sanktionsregelungen

Ausgangspunkt der Reform war u.a. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019, in dem Teile der Sanktionsregelungen im SGB II, insbesondere der Entzug von Leistungen in Höhe von 60% bis 100% für verfassungswidrig erklärt worden ist.

In diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:

  1. § 31a Absatz 1 Sätze 1, 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453) sowie der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Mai 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 850), geändert durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2854), geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (Bundesgesetzblatt I Seite 1824), ist für Fälle des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der genannten Fassung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar, soweit die Höhe der Leistungsminderung bei einer erneuten Verletzung einer Pflicht nach § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch die Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt, soweit eine Sanktion nach § 31a Absatz 1 Sätze 1 bis 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch zwingend zu verhängen ist, auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit § 31b Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt.

  2. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung durch den Gesetzgeber sind § 31a Absatz 1 Sätze 1, 2 und 3 und § 31b Absatz 1 Satz 3 in Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung folgender Übergangsregelungen weiter anwendbar:
  1. § 31a Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Leistungsminderung wegen einer Pflichtverletzung nach § 31 Absatz 1 SGB II nicht erfolgen muss, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Insbesondere kann von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.

  2. § 31a Absatz 1 Sätze 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch sind in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit der Maßgabe anwendbar, dass wegen wiederholter Pflichtverletzungen eine Minderung der Regelbedarfsleistungen nicht über 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen darf. Von einer Leistungsminderung kann abgesehen werden, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Insbesondere kann von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.

  3. § 31b Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit folgender Maßgabe anzuwenden: Wird die Mitwirkungspflicht erfüllt oder erklären sich Leistungsberechtigte nachträglich ernsthaft und nachhaltig bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann die zuständige Behörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ab diesem Zeitpunkt die Leistung wieder in vollem Umfang erbringen. Die Minderung darf ab diesem Zeitpunkt nicht länger als einen Monat andauern.

 

Diese Urteilsformel hat das Bundesverfassungsgericht u.a. wie folgt begründet:

Mit der Entscheidung für den Nachranggrundsatz gestaltet der Gesetzgeber das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG aus. Die Staatszielbestimmung verpflichtet alle Staatsorgane unmittelbar, bedarf aber zu ihrer Verwirklichung in hohem Maße der Konkretisierung vor allem durch den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 65, 182 <193>; 71, 66 <80>). Er hat in seinem weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu entscheiden, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln das soziale Staatsziel verfolgt werden soll (vgl. BVerfGE 59, 231 <263>; 82, 60 <80>). Eine Grenze findet dies in der Verpflichtung, jedem Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern (vgl. BVerfGE 125, 175 <222>). Der Gesetzgeber verfehlt diesen Auftrag nicht, wenn er die Gewährung staatlicher Hilfe davon abhängig macht, dass sich die Betroffenen nicht selbst helfen können. Er darf also den Gedanken der Subsidiarität verfolgen, wonach vorhandene Möglichkeiten der Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge haben.

Der Gesetzgeber kann den Nachranggrundsatz nicht nur durch eine Pflicht zum vorrangigen Einsatz aktuell verfügbarer Mittel aus Einkommen, Vermögen oder Zuwendungen Dritter zur Geltung bringen (vgl. BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 39>). Das Grundgesetz steht auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen.

 

Merke:
Die Sanktionsregelungen dienen somit der Durchsetzung des verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Nachranggrundsatzes. Hierbei hat der Gesetzgeber jedoch die verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten.

 

II. Sanktionsregelungen

  1. Der Gesetzgeber sanktioniert nach § 31 SGB II folgende Verhaltensweisen:

 (1) 1Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

Hinweis:
Durch die Einführung des Bürgergeldes wurde die Eingliederungsvereinbarung, durch den Kooperationsplan ersetzt.

Wesentlicher Unterschied ist, dass das Jobcenter eine Eingliederungsvereinbarung durch Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes erzwingen konnte, sofern zwischen dem Jobcenter und dem Leistungsberechtigten eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Hingegen ist nunmehr für den Fall, dass sich die Beteiligten über den Kooperationsplan nicht einigen können, ein Schlichtungsverfahren nach § 15a SGB II durchzuführen. Sofern eine Einigung nicht zustande kommt, kann das Jobcenter zu Mitwirkungshandlungen auffordern. Fehlende Mitwirkungshandlungen können dann wiederum sanktioniert werden. Diese Regelung führt zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, sodass die Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten ist.

  • sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § SGB_II § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
  • eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1. sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § SGB_II § 19 Absatz SGB_II § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,

Hinweis:
Der Gesetzgeber hat auch für die Berücksichtigung von Vermögen die Karenzzeit von einem Jahr eingeführt. Hiernach soll für ein Jahr ein Vermögen in Höhe von 40.000,00 € für die leistungsberechtigte Person sowie jeweils 15.000,00 € für jede weitere in der Bedarfsgemeinschaft lebende leistungsberechtigte Person nicht berücksichtigt werden. Nach Ablauf dieser Karenzzeit sinkt die Freigrenze für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende Person auf jeweils 15.000,00 €. Dies bedeutet, dass die Freigrenze nach Ablauf der Karenzzeit um 25.000,00 € sinkt. Hier ist noch nicht geklärt, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, wenn der Leistungsberechtigte eine entsprechende Minderung seines Vermögens innerhalb der Karenzzeit vornimmt.

2. sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,

3. ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4. sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

  1. Meldeversäumnis

Nach § 32 SGB II kann das Jobcenter ein Meldeversäumnis sanktionieren, wenn der Leistungsberechtigte einer Aufforderung sich zu melden oder bei einem ärztlichen und psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass er über die Rechtsfolgen ordnungsgemäß belehrt worden ist und ein wichtiger Grund für sein Nichterscheinen nicht vorliegt. Die Minderung beträgt jeweils 10 % des Regelbedarfs. Zudem muss der Sanktionsbescheid innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung erlassen werden. 

  1. Rechtsfolgen der Pflichtverletzung und Meldeversäumnis

Die Kürzung oder Streichung des Regelbedarfs wurde durch die Einführung der Bürgergeld-Reform gestaffelt und vor allem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch gedeckelt.

Die Sanktionen sind wie folgt gestaffelt:

  • Bei der ersten Pflichtverletzung 10% des jeweiligen Regelbedarfs einen Monat lang.
  • Bei der zweiten Pflichtverletzung 20% des jeweiligen Regelbedarfs zwei Monate lang
  • Bei der dritten Pflichtverletzung 30% des jeweiligen Regelbedarfs drei Monate lang.